Generalstaatsanwaltschaft Berlin

Generalstaatsanwaltschaft Berlin
Datum: 18. Oktober 2001
Elßholzstraße 30 - 33 * 10781 Berlin

Herrn Rechtsanwalt
Wolfgang Kaleck
Immanuelkirchstraße 3-4

10405 Berlin
Eingegangen: 29. Oktober 2001

Geschäftszeichen (bitte immer angeben): 1 Zs 1572/01



Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,

auf Ihre in Vollmacht der Frau ------ und des Herrn ------- eingelegte Beschwerde vom 6. Juni 2001 (Ihr Zeichen: 748/2000 WKA) gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Berlin vom 18. Mai 2001 sowie auf die von Ihrer Mandantin bei der Senatsverwaltung für Justiz angebrachte und mir zuständigkeitshalber vorgelegte Dienstaufsichtsbeschwerde vom 14. Mai 2001 gegen die Sachbehandlung durch die Staatsanwaltschaft in dem Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen des Vorwurfs der Geiselnahme u. a. - 1 Kap Js 1995/98 - teile ich Ihnen mit:

Nach Prüfung des Sachverhalts im Dienstaufsichtswege sehe ich mich nicht in der Lage, entgegen dem angefochtenen Bescheid anzuordnen, dass weitere Ermittlungen angestellt werden. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat das Verfahren aus zutreffenden Gründen eingestellt. Ihr Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, eine andere Entschließung zu rechtfertigen.

In Ihrer Beschwerdebegründung heben Sie hervor, das entscheidende Problem sei, dass bei den Ermittlungen wenig konkretisierbare Anhalte für ein Tötungsdelikt durch Dritte und vor allem keine Hinweise auf einen oder mehrere Täter ermittelt worden wären. Aufgrund dieses im Wesentlichen zutreffend beschriebenen Ermittlungsergebnisses war das Verfahren jedoch gemäß § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung Fragen offen blieben, steht der Einstellung vorliegend nicht entgegen. Denn ausgehend von einem Anfangsverdacht führt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen mit dem Ziel festzustellen, ob und in wieweit tatsächlich eine Straftat vorliegt und wer diese begangen hat. Sind aber keine

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erfolgversprechenden Ermittlungsanhalte mehr gegeben, um zu diesem Ziel gelangen zu können, ist das Verfahren - wie geschehen - abzuschließen.

Zuzustimmen ist Ihnen darin, dass aufgrund des ungeklärten Verbleibs des Boris F---- in dem Zeitraum von mindestens drei Tagen, die zwischen dem Verlassen der Wohnung am 17. Oktober 1998 und seinem Tod - folgt man der Todeszeitbestimmung der Gerichtsmediziner - höchstens zwei Tage vor dem Auffinden des Leichnams am 22. Oktober 1998 liegen, durchaus der Verdacht besteht, dass er Opfer einer Straftat geworden ist. Denn es ließen sich keinerlei Anzeichen finden, die für seine Absicht gesprochen hätten, nicht alsbald nach Hause zurückzukehren. Es gab auch keinen erkennbaren Anlass für dieses Fernbleiben. Zudem war das Verhalten, nicht auf die auf seinem Funktelefon eingehenden Anrufe zu reagieren, sich nicht bei seiner Mutter zu melden, dem Geburtstag seiner Großmutter fern zu bleiben und seine Verabredungen nicht wenigstens abzusagen, nach allem was über den Sohn Ihrer Mandanten bekannt geworden ist, für ihn untypisch. Diese ungewöhnlichen Umstände führten daher zu Recht zu der nicht auszuschließenden Annahme, dass er sich jedenfalls nicht freiwillig so verhielt, mithin von außen auf ihn eingewirkt worden sein könnte. Dabei ist die Überlegung mit eingeflossen - worauf die Staatsanwaltschaft auch in dem Ihren Mandanten erteilten Bescheid eingegangen ist -, dass es sich bei Boris F---- um eine Persönlichkeit mit außerordentlichen Fähigkeiten gehandelt hat, wodurch er das Interesse unterschiedlichster Kreise auf sich zog und sein Wissen ein Motiv für ein Verbrechen darstellen könnte.

Es konnte jedoch trotz der Angaben nahezu sämtlicher Personen aus seinem Umfeld nicht geklärt werden, wo er die fraglichen drei oder vier Tage verbracht hat und was während dessen geschehen ist. Einziger greifbarer Anhaltspunkt war sein Funktelefon, das er mitgenommen hatte und das bei ihm schließlich auch gefunden wurde, hinsichtlich dessen belegt ist, dass alle am 17. und 18. Oktober 1998 eingegangene Anrufe über Funkzellen im Bereich von Berlin-Buckow abgewickelt worden sind. Diese Erkenntnis und der spätere Auffindeort lassen zumindest vermuten, dass der Betroffene den Stadtbezirk nicht verlassen hat. Doch selbst diese Möglichkeit führte trotz Umfeldermittlungen, Suchmeldungen und Presseaufrufen nicht zur Feststellung eines zwischenzeitlichen Aufenthaltsortes welcher als Ansatzpunkt für weiterführende Ermittlungen hätte dienen können.

Die angestellte Überlegung Ihrer Mandantin, ihr Sohn sei bereits am 17. Oktober 1998 getötet, die Leiche anschließend gekühlt und schließlich ein Selbstmord vorgetäuscht worden, ist

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zwar eine theoretische Möglichkeit, die aber - und zwar auch nach Ansicht des mit den Untersuchungen beauftragten Sachverständigen Dr. Rothschild - schon angesichts der übrigen Befunde als fernliegend zu betrachten ist. Es ist bereits unwahrscheinlich, einen Tötungsvorgang nachträglich als suizidales Erhängungsgeschehen erscheinen zu lassen, ohne dass ein damit einhergehendes Vorgehen zu bei der Obduktion nicht erkennbaren Veränderungen der Befunde an der Leiche - insbesondere bezogen auf die Lage der Strangmarke und ohne Griffspuren zu hinterlassen - zu vollbringen wäre. Der festgestellte Mageninhalt, ist demgegenüber kein naheliegender Anhalt für eine derartige Version der Geschehensabläufe. Denn es ist nicht völlig lebensfern anzunehmen, dass ein alltägliches, überall erhältliches Gericht wie Nudeln mit Käse und Basilikum mehrmals nacheinander verzehrt wird, selbst wenn man davon ausgeht, dass es nicht zu den begehrtesten Speisen des Sohnes Ihrer Mandantin zählte. Doch selbst wenn man davon ausgehen würde, der Betroffene sei bereits kurze Zeit nach seinem Verschwinden, am Nachmittag des 17. Oktober 1998, getötet worden und sich dieser Geschehensablauf - trotz der strukturellen Veränderungen der Lebensmittelbestandteile im Verdauungsprozess - anhand einer Untersuchung des Mageninhaltes der Leiche nachvollziehen ließe, würden sich daraus keine Hinweise auf konkrete Täter ergeben, gegen die eine Anklage in Betracht käme, so dass die Erforschung des Sachverhalts in dieser Hinsicht keinen Erfolg verspricht.

Erfolgversprechende sonstige Ermittlungsanhalte, die zur Aufdeckung eines Tötungsdelikts oder einer anderen Straftat mit suizidalem Ausgang führen könnten, sind weder Ihrer Beschwerdebegründung zu entnehmen noch sonst ersichtlich.

Das Gutachten der Werkzeugtechnik der PTU beinhaltet die technisch möglichen Aussagen, die zumindest den Schluss zulassen, dass die vorhandene Kombizange wahrscheinlich zum Durchschneiden des Drahtes benutzt worden ist. Weiterführende Untersuchungen, um darüberhingehende Erkenntnisse zu gewinnen, waren nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht möglich.

Die Untersuchung der gesicherten Anhaftungen an den Schuhen, der Kleidung und den Händen des Betroffenen sowie des Folienmaterials vom Baum versprach nach Auskunft der Sachverständigen Nehse und Zirpel keine Aussicht auf zweifelsfreie Ergebnisse. Insbesondere hätte weder ausgeschlossen noch sicher bestätigt werden können, dass Boris F----- den

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Baum hinaufgeklettert ist, abgesehen vom Fehlen einer Aussagekraft, die das eine oder andere Ergebnis - unterstellt, es hätte erlangt werden können - für die weiteren Ermittlungen hätte.

Eine zunächst in Aussicht genommene DNA-Analyse von möglichen Spuren am Strangwerkzeug, war ebenfalls nicht geeignet, weiterführende Hinweise zu erbringen. Die vorsorgliche Spurensicherung im frühen Stadium der Ermittlungen entsprach der üblichen kriminalistischen Vorgehensweise in Fällen wie diesem. Ob die Untersuchung anschließend tatsächlich durchzuführen ist, hängt vom Hinzutreten weiterer Umstände ab, sie kommt regelmäßig in Betracht, wenn es möglich erscheint, dass die Spurenauswertung zum Nachweis der Täterschaft einer bestimmten Person beitragen könnte. Davon kann nach der hier vorliegenden Erkenntnislage jedoch nicht ausgegangen werden. Dabei ist unter anderem die Lage und Beschaffenheit des Untersuchungsmaterials zu berücksichtigen. Selbst wenn das Material am Gürtel einer anderen Person als dem Opfer zugeordnet werden könnte, ließe sich allein aufgrund eines solchen Umstandes vorliegend nicht nachweisen, auf welche Weise die Spur gesetzt worden wäre, worauf die Staatsanwaltschaft bereits hingewiesen hat.

Es bestehen daher derzeit keine konkreten Ermittlungsmöglichkeiten, den bestehenden Verdacht eines Verbrechens zu erhärten und den Nachweis für die Beteiligung einer bestimmten Person zu erbringen. Soweit die Obduktionsbefunde sich mit einem suizidalen Erhängungsvorgang in Einklang bringen lassen, ist es nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, Ermittlungen zu führen, die den alleinigen Zweck haben, diese nicht ausschließbare Möglichkeit sicher zu beweisen, mag auch ein nachvollziehbares Bedürfnis der Angehörigen bestehen, insofern Klarheit zu erlangen. Es wird auch nicht verkannt, dass die Eltern des Verstorbenen die Annahme eines Freitodes ihres Sohnes nicht mit dem Bild, das sie von ihm haben, vereinbaren können.

Ich vermag daher Ihrer Beschwerde nicht zu entsprechen.

Hochachtungsvoll

Nielsen

Staatsanwältin

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