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Freie Universität BerlinBerlin, den 28.01.2000
Institut für Rechtsmedizin

An die
Staatsanwaltschaft bei dem
Landgericht Berlin
Abt. 1 Kap

10548 Berlin

Todesfall Boris F--- , geb. 08.06.72, tot aufgef. am 22.10.98 Ergänzende gerichtsärztliche Stellungnahme

Az.: 1 Kap Js 1995/98; unsere L-Nr. 377/98

Ergänzende gerichtsärztliche Stellungnahme

1. Auftrag und Vorbemerkungen

Mit Auftrag vom 30.12.99 (hier eingegangen 10.01.00) wurden uns drei Bände Ermittlungsakten (Band I, II und Obduktionsband) zugesandt. Hierbei wurde insbesondere auf den Schriftsatz von Rechtsanwalt Eisenberg vom 21.11.99 (Bl. 131 ff/Band II) verwiesen und um eine ergänzende gerichtsärztliche Stellungnahme zur Plausibilität bzw. Widerlegbarkeit der dort auf Bl. 132 bis 134 aufgestellten Thesen gebeten.

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2. Stellungnahme zu den einzelnen Punkten

1. Auf Bl. 132 d. A. wird bezüglich des Todeszeitpunkts vor allem auf den Mageninhalt der Leiche des Boris F--- eingegangen. Unter Punkt 1.2 heißt es dort: "Der Obduktionsbericht legt den Todeszeitpunkt auf maximal drei Stunden nach Essen der mittlerweile identifizierten Mittagsmahlzeit vom Samstag ca. 13.30 Uhr fest. Todeszeitpunkt ist also spätestens am Samstag. 17.10.98. um 16.30 Uhr. eher früher".
Bei diesem Obduktionsbericht handelt es sich um eine Zusammenfassung eines Kriminalbeamten von LKA 4113 vom 23.10.98, der bei der Obduktion der Leiche des Boris F--- in unserem Hause anwesend war. Während der etwas über zwei Stunden andauernden Obduktion wurden zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder Fragen an den Obduzenten gestellt. Dass hierbei von unserer Seite aus angegeben wurde, "dass Boris F--- maximal drei Stunden vor seinem Tod noch Nahrung zu sich genommen hat", kann in dieser Klarheit so nicht unwiderspruchen bleiben. Unter normalen Umständen (keine Intoxikationen oder erheblichen Traumatisierungen, regelrechtes Margen-Darm-System) geht man davon aus, dass die Verweildauer von Speisen im Magen etwa vier Stunden beträgt.
Weiterhin wird hier bezogen auf diesen Obduktionsbericht (Bl. 121/Band I) bei diesen Berechnungen davon ausgegangen, dass es sich bei dem im Magen der Leiche anläßlich der Obduktion festgestellten Inhalt um die Speise handelt, die Boris F--- am 17.10.98 gegen 13.30 Uhr zu Hause zusammen mit seiner Mutter gegessen habe. Ob der Mageninhalt der Leiche tatsächlich mit dieser am 17.10.98 mittags zubereiteten Speise identisch ist, kann von unserer Seite nicht beantwortet werden. Sollte es sich jedoch um diese von der Mutter am 17.10.98 mittags mit ihrem Sohn gemeinsam gegessenen Speise handeln, so müßte man von einem Todeszeitpunkt des Boris F--- am 17.10.98 ausgehen.

2. Im unteren Drittel auf Bl. 132/Band II wird angeregt/beantragt, den Mageninhalt der Leiche, der noch immer in unserem Institut gekühlt asserviert ist, mit einer entsprechenden Vergleichsmahlzeit bzw. den genauen

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Bestandteilen der am 17.10.98 gegen 13.30 Uhr gegessenen Mahlzeit zu vergleichen. Dieses Vorgehen erscheint von unserer Seite her vernünftig. Jedoch geben wir zu bedenken, dass ein entsprechender Vergleich von gekochten Mahlzeiten bzw. Lebensmittelbestandteilen nicht durch ein rechtsmedizinisches Institut erfolgen kann. Wir würden daher vorschlagen, dass eine entsprechende Vergleichsanalyse durch einen Lebensmittelchemiker oder Lebensmitteltechniker (z.B. Technische Universität Berlin) durchgeführt wird. Da der Mageninhalt zwar seit dem Obduktionstag (23.10.98) bis heute gekühlt gelagert wurde könnte trotzdem mit strukturellen Veränderungen der Lebensmittelbestandteile gerechnet werden, so dass eine entsprechende Differenzierung tatsächlich nur durch einen versierten Lebensmittelfachmann erfolgen könnte.

3. Auf Bl. 132/Band II unten bis Bl. 133 wird die Möglichkeit der Konservierung einer Leiche angesprochen. Grundsätzlich ist eine - auch in unserem Hause - übliche Methode, Vergängnisprozesse(Autolyse und Heterolyse) dadurch in ihrer Geschwindigkeit zu reduzieren, dass man diese im Grunde chemischen Prozesse durch eine Reduzierung der Reaktionsenergie (Wärme) hemmt. Dies geschieht einfach durch Kühlung des Körpers. Wird die Leiche eines Verstorbenen im Anschluß an den Todeseintritt bei rund 2-4°C (übliche Kühlkammertemperatur in Leichenhallen) aufbewahrt, so verändert sich der Körper äußerlich - abgesehen von einigen Eintrocknungserscheinungen - über die nächsten Tage und Wochen kaum. Wesentliche und vor allem auch deutlich sichtbare Fäulnisprozesse werden hierdurch in erheblichem Maße unterdrückt.

4. In Punkt 1.8 (Bl. 134/Band II) wird gefragt, ob die Todeserlangung an einem anderen Ort als dem Fundort mit anschließendem Transport zum Fundort nach zwischenzeitlicher Kühlung technisch möglich ist bzw. sich mit den Untersuchungsergebnissen in Einklang bringen läßt. Dies kann ohne weiteres bejaht werden. wobei wir abgesehen von den typischen Befunden

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einer vitalen Erhängung keine andersgearteten Einwirkungshinweise fanden.

3. Empfehlung

Im Vordergrund steht nach bisheriger Aktenlage somit zunächst die Problematik der Todeszeit. Hinsichtlich unserer Todeszeitbestimmung können wir nur erneut auf unsere ergänzende gerichtsärztliche Stellungnahme vom 07.04.99 (Bl. 47-52 des Obduktionsbandes) verweisen. Wir stellen Ihnen selbstverständlich anheim, einen weitern Sachverständigen mit einem entsprechenden Todeszeit-Untersuchungsauftrag zu betrauen, wobei dieser genauso wenig wie wir die Chance hatte, am Leichenfundort Untersuchungen direkt an der Leiche vorzunehmen. Sollten Sie einen entsprechenden ergänzenden Gutachter beauftragen wollen, so erlauben wir uns, Ihnen Professor Dr. med. Claus Henssge (Institut für Rechtsmedizin der Universität Essen, Hufelandstr. 55, 45122 Essen) zu benennen, der in der Deutschen Gessellschaft für Rechtsmedizin als ausgewiesener Spezialist für Todeszeitbestimmungen gilt.

Der Vergleich des Mageninhalts der Leiche, der hier am 23.10.98 asserviert wurde, mit einer entsprechend nachgekochten Vergleichsmahlzeit bzw. entsprechenden Zutaten erscheint nicht abwegig. Eine entsprechende Vergleichsanalyse sollte jedoch von einem versierten Lebensmitteltechniker/-chemiker durchgeführt werden.

(Prof. Dr. med. V. Schneider)
(PD Dr. med. M. A. Rothschild)

Anlagen

3 Band Ermittlungsakten

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